A great digital strategy provides direction, enabling executives to lead digital initiatives, gauge their progress, and then redirect those efforts as needed.
Jeanne W. Ross, Ina M. Sebastian, Cynthia M. Beath, 2017

Die meisten Unternehmen haben eine Business Strategie und vielleicht auch eine IT-Strategie, die durch unterschiedlichste Maßnahmen unterstützt wird. Ebenso dürften die meisten Unternehmen in ihren Marketing Abteilungen unter anderem SEA und SEO Strategie entwickelt haben. Vielleicht kommen auch digitale Technologien wie Chatbots zum Einsatz, oder die Forschung und Entwicklung führt elaborierte digitale Prozesse ein, wie Digital Modeling. All solche Dinge, wie auch die Fokussierung auf digitale Produkte oder Services sind gut, aber hierbei handelt es sich nicht um eine digitale Strategie.

Eine digitale Strategie lässt sich als Fahrplan für die digitale Transformation beschreiben. Dabei wird untersucht, wie Beziehungen des Unternehmens zu Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten, Wettbewerbern, Gesamtmarkt und allen weiteren relevanten Stakeholdern mit Hilfe von digitalen Technologien grundlegend verändert werden können. Auf diese Weise werden physische Ressourcen und digitale Ressource (neu) miteinander kombiniert, so dass daraus neue Werte entstehen. Das bedeutet, dass eine digitale Strategie mit der kompletten Veränderung einer Organisation einher gehen kann, oder oftmals sogar muss.

Charakteristika einer digitalen Strategie

Auch wenn sich digitale Strategie stark unterscheiden können, so ähneln sich Unternehmen mit erfolgreichen digitalen Strategie in folgenden Punkten:

  • Flexibilität: Digitale Entwicklungen und Veränderungen schreiten schnell voran, weshalb auch die Organisation schnell agieren muss. Diese notwendige Flexibilität einer Organisation kann nur durch das systemische Zusammenspiel von Kultur, (organischer) Organisationsstruktur, Netzwerke (lernende Organisation und Open Innovation) und IT Systeme realisiert werden.

  • Risikobereitschaft: Veränderungen sind nicht in stabilen Zuständen zu erreichen. Eine digitale Strategie erfordert daher die Bereitschaft stabile Zustände aufzubrechen, auch wenn das mit einer Risikobereitschaft verbunden ist.
  • Partnerschaften: Silos müssen nicht nur innerhalb der Organisation aufgebrochen werden. Die Erhöhung von Komplexität und Dynamiken erfordert die Bereitschaft mit anderen Unternehmen verstärkt strategische Partnerschaften einzugehen und Netzwerke aufzubauen, was mit dem Austausch von Daten, Informationen und Wissen einhergeht (siehe hierzu den Beitrag zu Open Innovation). Die Bereitschaft zu Netzwerke und Partnerschaften einzugehen und aufzubauen erfordert wiederum eine entsprechende Unternehmenskultur.

Die drei Charakteristika machen deutlich, dass eine digitale Strategie weitaus mehr als eine IT-Strategie, sondern alle Facetten eines Unternehmens betrifft.

Digitale Strategie - Voraussetzungen und Eigenschaften

Digitale Kundenbindungsstrategie oder Lösungsstrategie?

Die Entwicklung einer digitalen Strategie muss mit der Klärung der Frage beginnen, um welche Art von digitaler Strategie es sich überhaupt handeln soll. Zu unterscheiden ist zwischen einer digitalen Lösungsstrategie, und einer digitalen Kundenbindungsstrategie.

Digitale Kundenbindungsstrategie

Eine digitale Kundenbindungsstrategie dient der Zielsetzung Loyalität und Vertrauen beim Kunden kanalübergreifend aufzubauen. Hier ist insbesondere zu klären, wie sich das Unternehmen möglichst störungsfrei mit dem Kunden vernetzen kann. Denn ohne entsprechende Vernetzung können keine Daten und Informationen gewonnen und verarbeitet werden, mit denen Services, Produkte und Kommunikation so gestaltet werden können, um die strategische Zielsetzung realisieren zu können.

Digitale Lösungsstrategie

Analog zur Kundenbindungsstrategie besteht die Strategie für digitalisierte Lösungen darin, dass Produkte oder Lösungen, die das Unternehmen verkauft, in eine digitalen Mehrwert für den Kunden transformiert wird. Aus der digitalen Lösungsstrategie kann sich auch das gesamte Geschäftsmodell verändern und erneuern.

Beide Formen einer digitalen Strategie scheinen unterschiedlich zu sein, mit der Zeit verschmelzen beide Strategien aber ineinander. So hat Kaiser Permanente, ein US-amerikanisches Unternehmen aus dem Bereich der Gesundheitsfürsorge, mit dem Streben nach Kundenbindung die Entwicklung von Fernüberwachungsdiensten, einer digitalisierten Lösung, vorangetrieben (Elenko et al., 2015).

Daraus abgeleitet scheint die Schlussfolgerung naheliegend, dass ein Unternehmen überhaupt nicht zwischen beiden Strategien auswählen muss wenn sich beide Strategieformen ohnehin aufeinander zu entwickeln. Dass dies aber eher ein Trugschluss ist, lässt sich leicht aus Sicht der Organisation erklären:

Alle Beteiligten des Strategie- und Innovationsprozesses können sich und ihre Ressourcen auf eine Zielsetzung fokussieren und daran orientieren. Andernfalls besteht bei der parallelen Verfolgung beider Ziele das Risiko, dass es zu Grabenkämpfen zwischen den kundennahen Abteilungen, und produktorientierteren Abteilungen kommt (bspw. F&E). Funktionale Silos führen daher besonders in hierarchisch stark strukturierten Unternehmen zum Scheitern digitaler Strategieentwicklungen und Strategieimplementierungen, sofern die Frage nach der strategischen Zielsetzung nicht klar beantwortet wurde. Hier zeigt sich auch die Bedeutung einer systemischen Betrachtungsweise, also dass eine digitale Strategie nicht eine Frage der Technik ist, sondern insbesondere eine der Organisationsstruktur und Organisationskultur.

Ironically, digital transformation, and digital strategy, are more about people than anything else. Some of those people are outside the organization—digitalization will demand a new level of customer and user focus; it will also require companies to build new kinds of partnerships.

M. Gobble, 2018

Eine digitale Strategie umfasst alle Ebenen der Organisation

Eine digitale Strategie weist den Weg zu einer digitalen Transformation des kompletten Unternehmens, und muss deshalb vier wesentliche Bereiche berücksichtigen, die einander bedingen:

  • 1. Technologie: IT-Systeme für das erfassen, sammeln und auswerten von Daten, sowie für den Austausch von Wissen und Informationen als Teil der lernenden Organisation. Eine geeignete Organisationsstruktur und Organisationskultur reicht nicht aus, wenn keine entsprechende IT-Struktur vorhanden ist. Wichtig: Ein hohes Maß an IT Agilität.
  • 2. Organisationsstruktur: Eine offene und fehlertolerante sowie eine entsprechende Technologie führen nicht zu einer digitalen Organisation, wenn die Organisationsstruktur starr und hierarchisch ist.
  • 3. Organisationskultur: Technologien die unter anderem den Daten-, Informations- und Wissensaustausch ermöglichen, und eine flache oder informelle Organisationsstruktur reichen nicht aus um ein Unternehmen zu transformieren, wenn die Organisationskultur unter anderem durch Angst oder fehlende Vision Motivation, Austausch und Kreativität verhindert.

Digitale Strategie und Technik

IT-Systeme wie ERP-, CRM-, MIS- oder EIS-Systeme haben für die Entwicklung digitaler Strategien eine große Bedeutung. Durch sie können Daten erfasst, gesammelt und ausgewertet werden, was eine wichtige Informationsgrundlage für die Strategieentwicklung bildet. In diesem Zusammenhang ist die Agilität der IT entscheidend, die notwendig ist um operativ und strategisch auf Veränderungen im externen Unternehmensumfeld zu reagieren.

Hieraus ergibt sich ein Dreiecksverhältnis aus (digitaler) Strategie, IT und den externen Unternehmensbedingungen. Diese Sichtweise der IT als strategischer Wettbewerbsfaktor beinhaltet die Fähigkeit eines Unternehmens, mit Hilfe bestehender IT-Strukturen und -Systeme auf neue Marktchancen zu reagieren. Nicht immer ist ein neues IT-System erforderlich, zumal die Suche und Implementierung eines neuen Systems durchaus zu viel Zeit für eine digitale Strategie benötigt. Es stellt sich daher die Frage, wie schnell und kostengünstig das bestehende IT-System angepasst werden kann, um potenzielle Vorteile aus Marktveränderungen zu nutzen.

So besteht beispielsweise bei fehlender Agilität der IT-Systeme das Risiko, dass Strategieprozesse verzögert werden, zu lange dauern oder nicht auf Grundlage der notwendigen Informationen entwickelt werden muss. Aus diesem Grund wird ein experimenteller Umgang mit IT-Ressourcen empfohlen, in dem verschiedene Szenarien möglicher zukünftiger Änderungen ausgearbeitet werden.

Digitale Strategie und Organisationsstruktur

Mit seinem berühmten Postulat „structure follows strategy“ beschreibt Chandler (1962) die Notwendigkeit für Unternehmen, ihre Strukturen an veränderte Umweltbedingungen und damit an veränderte Strategien anzupassen. Passt sich die Organisationsstruktur nicht der digitalen Strategie an wird sie weniger effizient sein, oder sogar scheitern. Je höher der Grad des disruptiven Charakters einer digitalen Strategie, desto größer ist die Notwendigkeit die Organisationsstruktur an dieser neuen Strategie auszurichten.

Häufig versuchen Unternehmen zwei eigentlich entgegengesetzte Strategien zu entwickeln und durchzuführen: Zum einen eine Strategie mit der das bestehende Geschäftsmodell weiterentwickelt (Exploitation) und ausgeschöpft werden kann, zum anderen eine Strategie um neue „disruptive“ Ziele zu erreichen (Exploration). Beide Strategien haben unterschiedliche und konkurrierende Zielsetzungen, was zu organisatorischen Spannungen führt (weitere Informationen zu Exploitation und Exploration gibt es hier). Diese Spannungen, oder auch organisatorische Ambidextrie genannt, erfordert unter anderem zwei unterschiedliche Organisationsstrukturen. Nähere Informationen zum Thema organisatorische Ambidextrie gibt es hier.

Digitale Strategie und Unternehmenskultur

Laut Ahmadi et al. (2012) scheitern die meisten digitalen Strategien weniger aufgrund einer fehlerhaften oder unzureichenden Strategieentwicklung, sondern vielmehr wegen der Umsetzung der Strategie. Für Warrick (2017) Für eine erfolgreiche Implementierung und Umsetzung einer Strategie ist die aktive Einbeziehung der Mitarbeiter in die Prozesse der Strategieimplementierung notwendig (Warrick, 2017) . Das geht einher mit der Entwicklung dezentralen Strukturen, Empowerment, Gruppenorientierung und Ressourcenentwicklung, sowohl in strategischer Hinsicht als auch vor allem in Bezug auf die Weiterentwicklung und Schulung der Mitarbeiter.

Key challenges of digital transformation are “not technologies, but human factors, cultural traditions, employees‘ resistance to change, lack of relevant knowledge and good practices, lack of adequate resources, lack of motivation and risk taking”.
Schwertner, 2017, p. 392

“It doesn’t make sense to hire smart people and tell them what to do; we hire smart people so they can tell us what to do.“

Steve Jobs

Mitarbeiter in die Strategieentwicklung mit einbeziehen

Es gibt zwei Hauptgründe, warum Mitarbeiter in die Strategieentwicklung und Strategieimplementierung als Teil der digitalen Transformation mit einbezogen werden sollten:

  • Erstens, wenn die Mitarbeiter nicht in einen Transformationsprozess eingebunden sind, können Unsicherheit, Angst und Reaktion resultieren, die den gesamten Transformationsprozess blockieren können (Jost, 2015). So scheitern beispielsweise die meisten ERP-Prozesse an der fehlenden Einbindung betroffener Mitarbeiter.
  • Der zweite Grund liegt in der zunehmenden Komplexität der internen Organisationsdynamik und der technologischen Entwicklungen. Das Management allein kann aufgrund steigender Komplexität und Dynamiken nicht mehr alle relevanten Aspekte und Themen verstehen und umfassen, die für die digitale Strategieentwicklung und Strategieimplementierung notwendig sind. Aus diesem Grund müssen die Mitarbeiter mit ihrem Fachwissen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Die Kenntnisse und Erfahrungen der Mitarbeiter sind daher als Wettbewerbsvorteil zu betrachten.

Quellen

  • Elenko, E., Underwood, L., Zohar, D. (2015) Defining digital medicine. Nature Biotechnology, 33 (5), pp. 456-461.

  • Ross, J., Sebastian, I., Beath, C. (2017) How to develop a great digital strategy. MIT Sloan Management Review, 58 (2), pp. 7-9.