Die digitale Transformation in Unternehmen wird oft zu sehr auf die Digitalisierung von analogen Prozessen, Produkten und Dienstleistungen reduziert. Um dieses Ziel zu erreichen, muss jedoch das Zusammenspiel verschiedener Dimensionen berücksichtigt werden, ohne das die digitale Transformation nicht funktionieren kann. Unternehmen mit einem hohen Digitalisierungsgrad unterscheiden sich daher in einer Hinsicht von Unternehmen geringem Grad besonders: Erstere verstehen und behandeln die Dimensionen Technik, Strategie, Organisationsdesign und Unternehmenskultur als eine systemische Einheit, während die letzteren Technik eher isoliert als Ergebnis der digitalen Transformation sehen.

Kurz zusammengefasst

  • Einbeziehung der Mitarbeiter: Erfolgreiche digitale Transformation erfordert die Einbeziehung der Mitarbeiter in die Strategieentwicklungsprozesse.

  • Dezentrale Organisationsstrukturen sind für den Erfolg digitaler Transformationsprozesse innerhalb eines Unternehmens entscheidend. Wichtig ist, dass sich die dezentralen Strukturen agil den sich verändernden Situationen und Bedingungen anpassen können.

  • Der Aufbau einer lernenden Organisation kann nur durch eine entsprechende Unternehmenskultur erfolgen. Digitale Transformation in Unternehmen ohne den Aufbau einer lernenden Organisation scheitert. Darüber hinaus erfordert die Agilität des Unternehmens eine Unternehmenskultur, die den Mitarbeitern Freiheitsgrade für ihre Handlungen und Entscheidungen ermöglicht.

  • Digitalisierte Unternehmen nutzen IT-Systeme für den Strategieentwicklungsprozess, Kommunikations- und Wissensaustausch, während traditionelle Unternehmen diese Möglichkeiten weniger nutzen. Wichtig: Die Unternehmenskultur muss die Nutzung und das Interesse der Mitarbeiter an den Systemen unterstützen.

Das Zusammenspiel aus IT, Technik, Struktur und Kultur

Im Folgenden gebe ich einen kurzen Auszug aus den Ergebnissen meiner Forschungsarbeit, die ich an der Universität Liverpool im Rahmen eines IT-Masterstudiengangs durchgeführt habe. Ziel war es zu untersuchen, wie stark die Dimensionen Technologie, Organisationsdesign, Unternehmenskultur und Strategie den Grad der Digitalisierung eines Unternehmens beeinflussen. Die gesamte Forschungsarbeit (in englischer Sprache) kann hier aufgerufen werden: „Aligning Strategic Enablers For Accelerating The Digital Transformation“.

Digitale Transformation in Unternehmen: Ein Zusammenspiel aus IT, Technik, Unternehmensstruktur und Unternehmenskultur

Trägt die Strategie positiv zur digitalen Transformation bei?

Zwischen Strategie und dem Digitalisierungsgrad besteht eine positive Korrelation (.491). Diese Korrelation begründet sich vor allem darin, dass digitale Unternehmen im Vergleich zu traditionellen Unternehmen deutlich häufiger datenbasierte Analysen und entsprechende IT-Systeme als Grundlage für ihre strategischen Prozesse nutzen. Die Differenzierung zeigt sich z.B. in der IT-gestützten Analyse des Geschäftsumfelds, um auf Basis der gewonnenen Informationen und Erkenntnisse die Strategie anpassen und somit agil entwickeln zu können. Die starke Integration datengetriebener Analysen innerhalb des Strategieentwicklungsprozesses erklärt somit auch die hohe Korrelation (.685) zwischen IT und Strategie bei Unternehmen mit einem hohen Digitalisierungsgrad.

Dieser Ansatz kann als Voraussetzung für ein konkreteres Verständnis eines sich wandelnden Geschäftsumfelds und damit für eine Zukunftsbetrachtung gesehen werden, mit der bisherige Routinen und entsprechende Denkmuster durchbrochen werden können. Digitale Unternehmen punkteten auch deutlich stärker hinsichtlich der Proaktivität und waren damit in der Regel die ersten, die neue Dienstleistungen, Produkte oder Marken auf den Markt brachten (weniger Risikoavers). Ein weiterer Unterschied zwischen digitalen und traditionellen Unternehmen im Kontext der Strategie besteht in der Einbeziehung der Mitarbeiter in die entsprechenden Strategieprozesse des Unternehmens. So bieten digitale Unternehmen ihren Mitarbeitern mehr effektive Möglichkeiten ihre Ideen in den Strategieentwicklungsprozess mit einzubringen. Daher besteht nicht nur eine positive Korrelation zwischen Strategie und IT, sondern auch zwischen den Faktoren Strategie und Unternehmenskultur (.729).

Trägt die Organisationsstruktur, im Sinne dezentraler Strukturen, tatsächlich positiv zur digitalen Transformation bei?

Eine dezentrale Organisationsstruktur hat einen starken Einfluss auf den Digitalisierungsgrad eines Unternehmens (.649). Tatsächlich wies die Organisationsstruktur in dieser Untersuchung von allen vier Faktoren die höchste Korrelation mit dem Digitalisierungsgrad auf. Die Organisationsstruktur der digitalen Unternehmen ist durch einen viel höheren Grad an Dezentralisierung gekennzeichnet als die der traditionellen Unternehmen, die sehr viel zentralisiertere Strukturen aufweisen.

Dies zeigt sich insbesondere in den größeren Freiheitsgraden, die digitale Arbeitnehmer genießen, da ihre Arbeit weniger von Regeln und Vorschriften diktiert wird. So können unter anderem Entscheidungen getroffen werden, ohne dass die Vorgesetzten jeden einzelnen Schritt überprüfen und genehmigen müssen. Digital transformierte Unternehmen sind somit auch wesentlich agiler als traditionelle Unternehmen. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass die Strukturen digitaler Unternehmen weniger formell und durch weniger funktionale Silos gekennzeichnet sind. So bemüht sich das strategische Management digitaler Unternehmen aktiv um Daten, Informationen, Austausch und Meinungen von allen Abteilungen.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist die Agilität der Organisationsstruktur, und zwar nicht nur im Hinblick auf den allgemein geringeren Grad an formaler Struktur in digitalen Unternehmen. Strukturen in digitalen Unternehmen können leichter angepasst werden, wenn neue strategische Entscheidungen oder sich verändernde Bedingungen des Marktumfeldes dies erfordern. Das erklärt die ebenfalls hohe Korrelation zwischen Organisationsstruktur und Strategie (.720). An dieser Stelle empfiehlt sich der Artikel „Digitale Transformation – Lernen von Christoph Kolumbus“.

Trägt die Kultur positiv zur digitalen Transformation bei?

Auch zwischen Kultur und dem Digitalisierungsgrad besteht ein positiver Zusammenhang (.570). Wie die Datenanalyse der Untersuchung ergeben hat, fördert die Unternehmenskultur in digitalen Unternehmen abteilungsübergreifendes Lernen und abteilungsübergreifende Kommunikation stärker als in traditionellen Unternehmen. Der Aufbau einer lernenden Organisation ist daher als Grundvoraussetzung einer erfolgreichen digitalen Transformation aus unternehmerischer Sicht zu sehen (hierzu passend der Artikel „Wie baut man eine lernende Organisation auf?“).

Ergänzend zu der stärkeren Anpassungsfähigkeit an Konkurrenten und andere Veränderungen im externen Geschäftsumfeld, erklärt die Lernfähigkeit der Organisation die starke Verbindung zwischen Kultur und Struktur (.855). Ebenfalls lässt sich der starke Zusammenhang zwischen Kultur und Struktur in digitalen Unternehmen auf die starke Interaktion zurückführen, die begünstigt wird durch die weniger formale und dezentralisierte Unternehmensstruktur und durch die Unternehmenskultur, die den Menschen den notwendigen Freiraum zur Bildung abteilungsübergreifender Kommunikationsnetze lässt.

Wenn es darum geht, sich als Teil eines Teams zu fühlen und durch ausreichende Delegation von Autorität und Verantwortung unabhängig zu handeln, sind digital transformierte Unternehmen ebenfalls gegenüber traditionellen Unternehmen im Vorteil.

Digitale Unternehmen setzten sich auch dafür ein, dass sie einen klaren Auftrag haben, der der Arbeit der Mitarbeiter Sinn und Richtung gibt, und dass sie eine gemeinsame Vision über die Zukunft der Organisationen haben. Eine klare gemeinsame und verbindliche Vision gibt Orientierung und eröffnet dem Unternehmen und den Mitarbeitern Handlungs- und Kreativräume. Dies erklärt, dass Mitarbeiter digitaler Organisationen eine höhere Bereitschaft und Motivation haben strategische Veränderungen zu akzeptieren und proaktiv mitzutragen. Die positive Korrelation zwischen Kultur und Strategie (.729) lässt sich damit erklären.

Trägt die IT positiv zum digitalen Wandel bei?

Es besteht eine starke positive, korrelierende Beziehung zwischen der IT und dem Grad der Digitalisierung (.602). IT-Systeme werden viel häufiger von digitalen Unternehmen eingesetzt um interdisziplinäres Arbeiten, den Austausch von Wissen und transparente Kommunikation zu ermöglichen und effektiv zu fördern. IT-Systeme ermöglichen es einer dezentralisierteren Struktur effektiv zu funktionieren und tragen somit zur Erklärung der sehr hohen Korrelationsbeziehung zwischen IT und Struktur bei (.797). IT und Unternehmensstruktur bedingen einander.

Digitale Unternehmen zeigen auch eine deutlich höhere Neigung, IT-Systeme an die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter anzupassen. Aus diesem Grund besteht auch eine hohe Korrelationsbeziehung zwischen den beiden Faktoren IT und Kultur (.819). Auch die Agilität von IT-Systemen wird relativ stark beeinflusst, da digitale Unternehmen ihre Systeme schneller an neue Anforderungen anpassen können als traditionelle Unternehmen. Dies zeigt sich auch in der Fähigkeit, den Mitarbeitern alle erforderlichen Daten zeitnah zur Verfügung zu stellen.

Quellen

  • Richter, M. (2018) Aligning Strategic Enablers For Accelerating The Digital Transformation. University of Liverpool