„Persönliche Kreativität und organisatorische Innovation hängen von der Bereitschaft ab, nach neuen Informationen zu suchen.“

Albert Einstein

Komplexität und dynamische Veränderungen, wie sie charakteristisch für die digitale Transformation sind, gehen immer auch mit Unsicherheit einher. Unsicherheit steht jedoch dem System Mensch, das stets nach Kontrolle und Stabilität strebt, absolut konträr gegenüber. Bezogen auf Führungskräfte bedeutet dies, dass viele versuchen Kontrolle durch Reduktion dieser Komplexität zu erlangen. Doch eine Reduktion ist noch lange keine Bewältigung von Komplexität. Denn bei vielen Führungskräften wird der Versuch der Komplexitätsreduktion unter anderem wie folgt zum Ausdruck gebracht:

  • Sie möchten keine Details hören.
  • Sie möchten sich nicht mit vermeintlich unwichtigen Themen auseinandersetzen, ohne dass dabei systemische Relevanz erkannt wird.
  • Sie nehmen sich wenig Zeit für längere Gespräche und zu wenig Zeit um zuzuhören. 

All diese Punkte unterliegen der Annahme, dass zum einen die Führungskraft alles unter Kontrolle hat, und einhergehend damit, dass die Führungskraft ein detailliertes Verständnis von allen Elementen des jeweiligen thematischen Systems besitzt. Diese Annahme ist allerdings meist eine fatale Selbstüberschätzung. Denn in Zeiten, in der die unterschiedlichsten Bereiche, Aufgaben, Tätigkeiten, Probleme und Herausforderungen derart ausdifferenziert sind, ist eine Führungskraft mehr denn je von seinen Mitarbeitern und Spezialisten abhängig – und nicht andersherum. Eine Führungskraft kann niemals in allen Bereichen mehr Expertise und Erfahrung haben als die Mitarbeiter, die sie führt. Lesen Sie nähere Informationen zur Bedeutung von Führung in dem Artikel Der Unterschied zwischen Führung und Management!  

Aus diesem Grund sollte eine Führungskraft nicht nur fordern, sondern vor allem auch die Mitarbeiter fragen. Das bedeutet, dass sich eine Führungskraft auch die Zeit nimmt um sich den Themen und Antworten der Mitarbeiter anzunehmen. Denn was gestern noch aus strategischer oder systemischer Sicht nicht relevant war, kann morgen durchaus strategische und systemische Bedeutung haben. Das bedeutet also für Führungskräfte und auch für Mitarbeiter, dass Bestehendes vor dem Hintergrund von Komplexität und dynamischen Veränderungen immer – im wahrsten Sinne des Wortes -hinterfragt werden muss. 

Fragen dienen der Wertschätzung

Neben den rein informations- und wissensbasierten Dimensionen dient das Stellen von Fragen auch als Ausdruck von Wertschätzung. Stellen Führungskräfte ihren Mitarbeitern häufiger offene Fragen, fühlen sich Mitarbeiter stärker wertgeschätzt. Das wiederum hat einen signifikanten Einfluss auf die Motivation der Mitarbeiter und somit auf die pro-aktive kreative Leistungsfähigkeit. Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Aufbau einer entsprechenden Kultur und Organisationsstruktur.

Eine große Sorge vieler Führungskräfte ist nämlich, dass sie durch das Stellen von Fragen als inkompetent oder unsicher wahrgenommen werden könnten. Die Bedeutung des Stellens von Fragen muss daher als wichtiger Bestandteil der Organisationskultur definiert und auch kommuniziert werden. Darüber hinaus ist auch bei der Auswahl von Führungskräften darauf zu achten, dass sie eine entsprechende charakterliche Eignung haben. Nach wie vor wird bei der Auswahl von Führungskräften zu viel Wert auf Abschlüsse und vorherige Positionen gelegt und zu wenig auf charakterliche Eigenschaften.

Fragen geben Rückschlüsse auf die Person, die sie stellt

Eine Frage legt auch immer Informationen über die Person offen, welche die Frage stellt. Genau hier liegt auch der Grund dafür, dass viele Führungskräfte Angst davor haben Fragen als ein systematisches Tool der Mitarbeiterführung zu integrieren. Auf der anderen Seite liegen hier auch die großen Möglichkeiten für eine Führungskraft. Um die Risiken zu minimieren eignen sich offizielle Strukturen, die es der Führungskraft ermöglichen Fragen zu stellen, beispielsweise in Form von Jour Fixes, bilateralen Gesprächen oder Meetings.

Die Führungskraft hat somit die Möglichkeit im Vorfeld die Fragen reflexiv zu durchdenken und zu formulieren. Laut John et al. (2015) kann die Führungskraft mit Hilfe des Fragenstellens dem „information exchange“ gerecht werden, aber auch dem „impression management“. Das bedeutet, dass Fragen nicht nur zu einem wertvollen Informationsaustausch führen, sondern auch dazu, dass die Führungskraft von ihren Mitarbeitern geschätzt und gemocht wird („social bonding“).

Antworten müssen auch korrigiert werden dürfen

Studien zeigen, dass Menschen offener für Fragen und entsprechende Themen sind, wenn ihnen gesagt wird, dass sie die Möglichkeit haben ihre Antworten auch ändern, bzw. korrigieren zu können. Das betrifft selbstverständlich nicht jede Art von Frage, aber all solche mit einem zukunftsbezogenen Charakter, wie beispielsweise Fragen zu strategischen Themen. Das bedeutet aber auch, dass Führungskräfte regelmäßig Fragen stellen müssen, bzw. dass sie sich regelmäßig in einen offenen Austausch mit Mitarbeitern begeben sollten. Hier zeigt sich wieder die Notwendigkeit eine Kultur des Fragens zu installieren, einschließlich der Notwendigkeit eines Aufbaus entsprechender Strukturen und Prozesse. In diesem Zusammenhang ist der Artikel Wie baut man eine lernende Organisation auf? zu empfehlen. 

Insbesondere vor dem Hintergrund einer entsprechenden Unternehmenskultur ist der Umstand interessant, dass Mitarbeiter es für sich als schädlich erachten, wenn ihre Antwort einen negativen Inhalt hat und dass ein Verweigern, oder eine Relativierung für sie mehr von Vorteil ist (John et al., 2015). Diese Ängste müssen in einer gelebten Unternehmenskultur nicht nur gezielt genommen werden, die Mitarbeiter müssen dazu motiviert werden auch unangenehme oder negative Antworten auf Fragen ihrer Vorgesetzten zu geben. Interessant ist nämlich auch, dass Personen mit den genannten Ängsten dennoch verstärkt solche Menschen bevorzugen und schätzen, die im organisatorischen Kontext offen und ehrlich auf Fragen antworten. Das zeigt, dass die intuitive Beurteilung der eigenen Risiken einer verzerrten Wahrnehmung unterliegt. Führungskräfte, sozusagen als Teil-Botschafter der Unternehmenskultur, müssen aus diesem Grund daran arbeiten, dass die Mitarbeiter motiviert werden auch Antworten zu geben, selbst wenn sie einen negativen Inhalt haben.

Quellen

  • John, L., Barasz, K., Norton, M. (2015) Hiding personal information reveals the worst. Harvard Business School, pp. 1-6.