Pessimismus wird oft als das ungeliebte Gegenstück des Optimismus betrachtet. Wer pessimistisch ist, wird als negativ wahrgenommen, jemand, der nur bremst und nicht gestaltet, der grundsätzlich nicht nach vorne gerichtet ist. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Studien, die deutlich zeigen, dass eine Form des Pessimismus – der defensive Pessimismus – gegenüber dem Optimismus wesentliche Vorteile bieten kann. Ein Blick auf dieses Thema lohnt sich also.

Mein Video zu defensivem Pessimismus

Kurz zusammengefasst

  • Defensiver Pessimismus, der das Antizipieren von Schwierigkeiten und Problemen beinhaltet, kann eine effektive kognitive Strategie zur Angstreduktion und zur Vorbereitung auf negative Ereignisse sein.

  • Verschiedene Studien haben gezeigt, dass defensiver Pessimismus unter bestimmten Bedingungen zu besseren Leistungen führen kann als Optimismus, insbesondere in stressigen und komplexen Situationen.

  • Optimismus ist eine weitere kognitive Verarbeitungsstrategie, die Menschen dazu bringt, sich auf positive Aspekte zu konzentrieren, was ein gesteigertes Gefühl des Wohlbefindens bewirken kann.

  • Optimismusverzerrungen, wie die Selbsttäuschung und die Überlegenheitsillusion, können jedoch zu einer unrealistischen Wahrnehmung der Realität und möglicherweise zu Fehlentscheidungen führen.

  • Eine ausgewogene Balance zwischen Pessimismus und Optimismus, gepaart mit Selbstreflexion, wird als ideal angesehen, um sowohl die realistische Bewertung von Situationen als auch ein positives Wohlbefinden zu gewährleisten.

Was ist defensiver Pessimismus

Der defensive Pessimismus ist kein chronisch negativer Blick, sondern eine äußerst effektive kognitive Strategie zur Angstreduktion. Menschen, die den defensiven Pessimismus anwenden, suchen und antizipieren Schwächen, Probleme und Risiken im Hinblick auf ein Ziel oder ein Vorhaben. Dadurch können sie potenzielle Risiken minimieren oder sich auf mögliche negative Ereignisse vorbereiten, um im Ernstfall dynamischer und schneller reagieren zu können. Insbesondere im Kontext stressiger, komplexer und neuartiger Aufgaben zeigen sich die Vorteile des defensiven Pessimismus.

Studien zum defensiven Pessimismus

Verschiedene Studien haben den Zusammenhang zwischen Optimismus, Pessimismus und der Fähigkeit, mit Stress und Problemen umzugehen, untersucht. Norem und Cantor (1986) untersuchten den defensiven Pessimismus bei College-Studenten und stellten fest, dass diese Strategie in Stresssituationen tendenziell zu besseren Leistungen führte als Optimismus. Auch die Leistung von Managern wurde untersucht, wobei sich zeigte, dass Manager, die defensiven Pessimismus anwendeten, tatsächlich bessere Leistungen erbrachten als optimistische Manager (Segerstrom und Sephton, 2010). Die Autoren argumentierten, dass defensive Pessimisten realistischer sind und daher besser in der Lage sind, Risiken zu bewerten und Pläne zu entwickeln, um diese zu minimieren.

Die psychologischen Erklärungen

Optimismus ist ebenfalls eine kognitive Verarbeitungsstrategie. Sie ermöglicht es Menschen, sich auf positive Aspekte oder Informationen zu konzentrieren. Dadurch stellt sich ein besseres Gefühl des Wohlbefindens ein. Das ist an sich nicht schlecht, da es Motivation und Energie freisetzen kann – eine Grundvoraussetzung, um über sich hinauszuwachsen. In komplexen und stressigen Situationen können jedoch negative, kritische Aspekte übersehen werden. Wenn diese nicht den eigenen, vom Optimismus getriebenen Meinungen entsprechen, können daraus Inkonsistenzen entstehen, die möglicherweise dadurch gelöst werden, dass sie einfach ignoriert werden.

Daniel Kahneman spricht in diesem Zusammenhang von Optimismusverzerrungen. Es gibt unterschiedliche Arten von Optimismusverzerrungen, wie zum Beispiel die Selbsttäuschung und die Überlegenheitsillusion. Bei der Selbsttäuschung neigen Menschen dazu, die Realität so wahrzunehmen, wie sie es gerne hätten, und blenden aus, wie sie wirklich ist. Bei der „Überlegenheitsillusion“ neigen Menschen dazu, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen im Vergleich zu anderen zu überschätzen.

Die Wahrscheinlichkeit des Eintretens positiver Entwicklungen wird oft zu hoch eingeschätzt, während die Wahrscheinlichkeit des Eintretens negativer Entwicklungen unterschätzt wird. Die mögliche Folge: Fehlentscheidungen mit all ihren verbundenen Nachteilen. In diese Optimismusverzerrungen spielen weitere kognitive Verzerrungen hinein. Ein Beispiel ist das sogenannte „Law of the instrument“. Hinter dieser speziellen kognitiven Verzerrung verbirgt sich die Tendenz, Situationen ausschließlich aus der Perspektive des eigenen Berufs oder der eigenen Fähigkeiten zu bewerten – nach dem Motto: „Wer nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel“. Das hat im Kern damit zu tun, dass dadurch das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle erlangt wird, oder auch kognitive Stabilität.

Beispiel

Es ließ sich gut beobachten, dass insbesondere viele Redakteure zu Beginn von Chat GPT optimistisch waren und glaubten, KI würde niemals so gut sein wie sie selbst. Sie waren der Meinung, dass die klassische Redaktionsarbeit dadurch sogar noch an Bedeutung gewinnen würde. Aufgrund dieser Optimismusverzerrungen wurden Strategien entwickelt, die die klassische Redaktionsarbeit noch mehr förderten und ausbauten. Die neuen Realitäten und Risiken wurden teilweise verdrängt – und die Ergebnisse von Chat GPT waren bereits in der ersten Version bahnbrechend.

Das erinnert an die Kutschenbauer, die das Auto als unkomfortable Modeerscheinung betrachteten und glaubten, die Menschen würden schon bald zur alten Ordnung zurückkehren. Jedenfalls war eine gesunde pessimistische Denkweise oft nicht erkennbar. So konnte das eigene gute Gefühl bewahrt bleiben, ebenso wie das Selbstwertgefühl, durch nichts ersetzt werden zu können.

Was nun?

Zum Abschluss: Mir geht es nicht darum zu sagen, dass wir alle Pessimisten sein sollen. Aber wir sollten auch nicht nur Optimisten sein. Wir brauchen eine ausgewogene Balance. Und die notwendige Grundlage dafür ist die Selbstreflexion – es beginnt also bei uns selbst.

Quellen

  • Norem, J. K., & Cantor, N. (1986). Defensive pessimism: Harnessing anxiety as motivation. Journal of Personality and Social Psychology, 51(6), 1208–1217.

  • Segerstrom, S. C., & Sephton, S. E. (2010). Optimistic expectancies and cell-mediated immunity: The role of positive affect. Psychological Science, 21(3), 448-455.