Der Begriff Vertrauen wird oft zu inflationär als einfaches Schlagwort verwendet. Was genau ist aber Vertrauen? Ist Vertrauen bereits gegeben, wenn eine Führungskraft ihre Untergebenen weniger kontrolliert und ihnen mehr Verantwortung überträgt? Nach Rousseau et al. (1998) kann Vertrauen als „ein auf einem psychologischen Zustand basierender Ansatz zur Akzeptanz von Verwundbarkeit auf der Grundlage positiver Erwartungen an die Absichten oder das Verhalten eines anderen“ betrachtet werden. Poppo et al. (2015) unterscheiden zwischen kalkulatorischem und relationalem Vertrauen:
Kalkulatives Vertrauen
Kalkulatorisches Vertrauen zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Untergebenen und Führungskräfte dieses Vertrauens bewusst sind. Das bedeutet, dass es bewusste Erwartungen gibt, die an den jeweils anderen gerichtet werden. das kalkulatorische Vertrauen hoch ist, gehen beide Parteien davon aus, dass die Zusammenarbeit und die Ziele respektiert werden, zumal die Nichteinhaltung zu Sanktionen führen kann.
Dies bedeutet, dass sich Bestrafung und Vertrauen nicht gegenseitig ausschließen. Dies bedeutet somit auch, dass sowohl die Führungskraft als auch ihre Untergebenen offen über ihre Erwartungen kommunizieren müssen. Ein Mangel an Kommunikation führt ansonsten zu einem diffusen Verständnis der Erwartungen, was wiederum dazu führt, dass es schwieriger ist, ein hohes Maß an kalkuliertem Vertrauen zu erreichen.
Das kalkulierte Vertrauen basiert also auf Erwartungen und deren Einhaltung. Grundsätzlich ist daher die Einrichtung eines Anreiz- und Belohnungssystems sinnvoll, um stabile vorhersehbare Ergebnisse zu gewährleisten. Vertrauen bedeutet also auch, dass Führungskräfte in ihre Mitarbeiter „investieren“ müssen. Nicht nur im Sinne von intrinsischen oder extrinsischen Anreizen und Belohnungen, sondern auch in Form von Zeit, um einerseits den Mitarbeitern die Erwartungen verständlich zu machen, und andererseits auch Wünschen, Ideen und Bedenken und Fragen der Mitarbeiter einzuholen, zu verstehen und gemeinsam zu besprechen,
Relationales Vertrauen
Im Vergleich zu kalkulatorischem Vertrauen ist relationales Vertrauen durch eine längerfristige Beziehung gekennzeichnet. Kontinuierliche Kommunikation und das Sammeln von Erfahrungen sind entscheidend. Relationales Vertrauen entsteht, wenn sich die sozialen Beziehungen zu einem Zustand entwickeln, in dem jeder Partner erwarten kann, dass er gemäß den Präferenzen und Prioritäten des anderen handelt (Saparito et al., 2004). Kalkulatorisches Vertrauen kann daher ein wichtiger Bestandteil sein, der auf die Entwicklung von relationalem Vertrauen mit einwirkt. Der Aufbau von relationalem Vertrauen dauert also länger als der Aufbau von kalkulatorischem Vertrauen und kann nicht unmittelbar beeinflusst werden.
Diskussionen um Führung, Homeoffice und Vertrauen
Während und nach der Corona-Pandemie haben noch nie so viele Menschen von Heimarbeitsplätzen aus gearbeitet. Vertrauen wurde und wird als neuer Führungsstil gepriesen. Wie bereits beschrieben, muss das Konzept des Vertrauens jedoch differenziert betrachtet werden. Vertrauen ist weder eine bloße noch einseitige Entscheidung; ihm gehen eine wechselseitige Kommunikation und, wenn es sich um Vertrauen in Beziehungen handelt, Zeit und Erfahrung voraus. Und so wie der Begriff des Vertrauens differenziert betrachtet werden muss, so muss auch das Verhältnis von Führung und Vertrauen differenziert betrachtet werden.
Einfach zu sagen, gute und moderne Führungskräfte vertrauen, und Führungskräfte, die das nicht tun, sind aus der Zeit gefallen, ist falsch und auch naiv. Warum sollte eine Führungskraft, die 5, 10, 50 oder noch mehr Mitarbeiter hat, jedem vertrauen? Vor allem, wenn ein Mitarbeiter erst seit kurzer Zeit im Unternehmen arbeitet, sollte Vertrauen im humanistischen oder relationalen Sinne keine Selbstverständlichkeit sein. Vielmehr ist es wichtig, dass Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern im Sinne eines kalkulatorischen Vertrauens kommunizieren, insbesondere vor dem Hintergrund der Thematik Homeoffice, und sich über gegenseitige Erwartungen, Vorstellungen und Befürchtungen austauschen.
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