Die Creative Cliff Illusion

Gemeinläufig werden kreative oder innovative Menschen immer als solche betrachtet, die auf bestimmte Fragen oder Problemstellungen schnelle Antworten oder Lösungen finden. Diese Vorstellung wird dadurch verstärkt, dass wir selber annehmen, dass Kreativität im Laufe eines Denk-, oder Kreativprozesses, wie beispielsweise dem Braimstorming, abnimmt. Diese Annahme ist aber falsch.

Loran Nordgren, Professor für Management und Organisationen an der Kellogg School, hat anhand mehrer Studien widerlegt, dass Kreativität mit der Zeit nachlässt. Er bezeichnet die falsche und weit verbreitete Annahme als Creative Cliff Illusion.

Drei interessante Erkenntnisse gehen aus der Studie hervor:

  • Menschen gehen tatsächlich davon aus, dass ihre kreative Leistung mit der Zeit nachlässt. Oder anders ausgedrückt, dass die besten Ideen früh und schnell kommen.

  • Tastächlich aber lässt die Qualität der kreativen Lösung nicht nach, sie erhöht sich Größtenteils sogar im Laufe der Zeit.

  • Je mehr eine Person die Illusion glaubt, desto weniger kreative Ideen werden produziert, desto schlechter wird die kreative Leistung tatsächlich. Im Prinzip zeigt sich hier die Wirksamkeit der Selbsterfüllenden Prophezeiung. In diesem Fall also eine positive Rückkopplung zwischen Erwartung und Verhalten.

Manager und Führungskräfte sollte demnach vorsichtig sein und kritisch hinterfragen, wenn Mitarbeiter auf komplexe oder neuartige Probleme oder Fragestellungen schnelle kreative Antworten, bzw. Lösungen liefern. In der Regel setzen sich solche Antworten aus Intuitionen zusammen, oder anders ausgedrückt, aus der in der Vergangenheit erlernter Musterbildung.

Intuition ist sehr hilfreich, eben nur nicht bei neuen, beispielsweise strategischen Fragestellungen, für die es sozusagen noch keine Erfahrungswerte gibt, auf die sich eine Intuition begründen könnte. Eine kreative Lösung ist dann im Prinzip nichts anderes als eine lineare Fortführung der Vergangenheit. Wirklich kreativ kann das nicht sein. 

Ein weiteres damit verbundenes Problem ist aber leider auch, dass extravertierte Personen, die schnell vorpreschen und scheinbare (kreative) Lösungen liefern, in der Regel mehr wertgeschätzt werde, als solche, die eher in sich gekehrt sind und lieber länger über ein Problem und dessen Lösungsmöglichkeiten nachdenken. Menschen, wie alle anderen Systeme auch, streben nach Stabilität und Orientierung. Und wenn in Zeiten dynamischer Komplexitäten und der damit verbundenen Orientierungslosigkeit und Unsicherheiten, Menschen uns schnelle Antworten geben, und damit uns nicht lange im Gefühl der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit alleine lassen, dann werden solche Menschen auch mehr geschätzt. Führungskräfte müssen sich dieser Tatsache bewusst werden, um nicht der Gefahr einer gewissen Selbsttäuschung aufzuerlegen.

Zurück aber zu dem Problem, dass Menschen, die davon überzeugt sind, dass ihre kreative Leistung mit der Zeit nachlässt, und diese Überzeugung tatsächlich dann letztlich dazu führt, dass sie ihr Kreativitätspotential nicht voll ausschöpfen. Menschen schätzen ihre Kreativität schlechter ein je länger ein Kreativitätsprozess dauert. Der Grund dafür, und das geht aus der Studie von Loran Nordgren hervor, ist, dass die Leichtigkeit der Ideenfindung mit der Qualität der Kreativität verwechselt wird. 

Aber gerade wenn es schwer ist, eben nicht die offensichtlichen, intuitiven oder naheliegenden Ideen kommen, muss daran gearbeitet werden. Erst dann können in der Regel wirkliche kreative Ideen oder Lösungen gefunden, erarbeitet werden. Diejenigen, die annehmen, dass kreative Ideen und Lösungen früh gefunden werden und nicht erst spät, und dass die Kreativität mit fortlaufender Dauer des Prozesses nachlassen würde, sind tatsächlicher weniger produktiv und kreativ.

Aber allein das Bewusstsein über diese Illusion und die Erfahrung mit Kreativprozessen führt dazu, dass dieser Irrtum, diese falsche Intuition aufgelöst wird und die Produktivität und Kreativität gesteigert wird. Natürlich können im Alltag nicht alle Probleme und Fragen zeitintensiv durchdacht werden. Im Alltag bedarf es mehrerer Antworten die sozusagen adhoc und intuitiv beantwortet werden müssen. Aber wenn Problem- und Fragestellungen komplexerer, strategischer Natur sind, die sich nicht linear herleiten lassen, oder herleiten lassen sollten, bedarf es zeitaufwendiger kreativer Lösungsprozesse. 

Kreative Lösungen und Antworten sind in ihren wahren Bedeutung in den seltensten Fällen offensichtlich, oder wie aus dem Nichts heraus auftretende Geistesblitze. Nein, sie müssen erarbeitet werden. Kreative Und wie gut die Lösungen sind sollte nicht von der Dauer einer Brainstorm Sitzung abhängig. Je nachdem, sollte ein Unternehmen, oder eine Führungskraft bereit sein zusätzlich Zeit für kreative Lösungsprozesse zu investieren, als ursprünglich geplant. Aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Aspekt einer agilen Organisation. Eben nicht nur Prozesse optimieren in Hinblick auf Schnelligkeit, sondern ab und zu auch in Bezug auf eine bedarfsgerechte Entschleunigung.