Einer der Hauptgründe für das Scheitern digitaler Transformationen im organisatorischen Kontext ist, dass sie häufig lediglich auf die Technologie reduziert wird, während andere Ebenen oder Dimensionen nicht beachtet werden. Digitale Transformationen müssen aber ganzheitlich verstanden werden, da mehr Ebenen von der digitalen Transformation betroffen sind als nur die technologische. Zudem bestehen auch Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Dimensionen. Ein Digital Maturity Modell hilft dabei die Reifegrade der jeweiligen Dimensionen zu bestimmen, die zum Gegenstand der digitalen Transformation in einem Unternehmen gemacht werden müssen.

Die Dimensionen des Digital Maturity Models

Ein Digital Maturity Model berücksichtigt folgende Dimensionen, die im Rahmen der digitalen Transformation berücksichtigt werden müssen: Strategy, Leadership, Products, Operations, Culture, People, Governance und Technology.

Digital-Maturity-Model
  • Strategie: Die Dimension Strategie umfasst die Vision und die Transformations Roadmap. Gibt es also schon gesetzte  strategische Ziele und einhergehend damit auch definierte Steps zur Erreichung dieser Ziele? Das schließt auch die Berücksichtigung entsprechender digitaler Technologien mit ein, und setzt ein ehrliches und tiefes Verständnis für die eigentlichen Probleme und den daraus resultierenden Need voraus, den eine digitale Transformation überhaupt erst erfordert.

    Die Vision, einhergehend mit einem entsprechenden Wertesystem, verleiht  dem Unternehmen und Mitarbeitern Orientierung, also ein Orientierungsrahmen innerhalb dessen sie sich frei bewegen können. In einer eigenen Studie die ich im Rahmen meines Studiums an der Universität in Liverpool durchgeführt habe, ist beispielsweise hervorgegangen, dass digitale Unternehmen im Vergleich zu traditionellen Unternehmen deutlich klarere Visionen darüber definieren wie die Organisation Zukunft aussehen soll, und diese Visionen entsprechend dann auch effizient kommunizieren (die Arbeit kann mir >>hier<< downloaden). Eine klar definierte und kommunizierte Vision ist also durchaus ein strategisches Asset der digitalen Transformation. 

  • Leadership: Die Dimension Strategie hat auch eine stark kommunikative Komponente, und hängt daher stark mit der Dimension Leadership zusammen. Führungskräfte müssen nämlich die entsprechenden Zielsysteme klar kommunizieren, sie müssen motivieren und dementsprechend ihren Mitarbeitern auch Freiräume und Ressourcen für Innovationen und kreativer Denkweise und Austausch lassen. Das schließt auch dezentrale Entscheidungskompetenzen mit ein. Von den Führungskräften erfordert dies eine Abkehr vom Selbstbild der allwissenden Führungskraft, die zu jeder Zeit und zu jedem Thema mehr Wissen und Einblick hat als ihre Mitarbeiter. Unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen müssen nicht nur akzeptiert, sondern auch gefördert werden um bestehende Muster zu durchbrechen, auch wenn es um das feste Muster des eigenen Selbstbildes geht. Eine Grundvoraussetzung dafür ist dann natürlich auch die Dimension der Organisationskultur.

    Es geht bei der Dimension Leadership also vor allem darum, dass die Führung die Mitarbeiter für Veränderungen begeistern, oder zumindest überzeugen muss. Hierfür müssen bestehende Denkmuster, Denkstrukturen, Routinen und wahrgenommene Unsicherheiten durchbrochen werden. Und natürlich ist die Grundvoraussetzung all dessen, dass die Führungskräfte dieses Verständnis ihrer eigenen Führungsaufgabe haben. Das C-Level muss hierfür die Richtung vorgeben und von den Führungskräften einfordern. Leistung von Führungskräften darf daher nicht nur anhand klassischer Business KPIs gemessen werden, sondern anhand ihrer tatsächlichen Führungsqualität.

  • Produkt: Die dritte Dimension betrifft erstmal das Produkt, bzw. die Dienstleistung. Entscheidend ist hier nicht die Frage ob ein analoges Produkt oder eine analoge Dienstleistung lediglich digitalisiert wurde, sondern ob sich darüber hinaus der Nutzen für den Kunden erhöht hat, die Wirtschaftlichkeit oder auch Wettbewerbsvorteile. Oder ob sich einhergehend damit die Wertschöpfungskette ggf. auch verändert oder erweitert hat. Ein Beispiel sind hier Smart Services.

  • Operations: Die vierte Ebene Operations meint inwiefern Geschäftsprozesse digitalisiert sind, um letztlich auch die digitale Strategie zu realisieren. Klassische Beispiele sind hier CRM-Systeme für den Vertrieb, oder ERP Prozesse. Da aber auch Transformationsprozesse aufgrund neu eingeführter IT-Systeme scheitern können – bzw. natürlich im Zusammenspiel mit dem Faktor Mensch, Stichwort Kultur und Widerstände – ist auch immer die Frage zu prüfen wie effizient die IT-Systeme tatsächlich sind, bzw. genutzt werden, und wie agil die IT-gestützten Prozesse sind. Und: Wie werden die Ressourcen überhaupt eingesetzt? Gibt es hier vielleicht einen Engpass an Ressourcen der dazu führt, dass die Digitalisierung interner und externer Prozesse scheitert? Das hängt auch sehr stark damit zusammen, dass digitale Unternehmen signifikant stärker datenbasierte Analyse in ihre Entscheidungsprozesse mit einfließen lassen, als traditionelle Unternehmen. 

  • Culture: Die fünfte Ebene des Digital Maturity Modells betrifft die Organisationskultur, bei der es auch systemische Wechselbeziehungen zu allen anderen Dimensionen gibt. Digitale Unternehmen passen ihre IT-Systeme signifikant stärker den Wünschen und Anforderungen ihrer Mitarbeiter an, als traditionelle Unternehmen. Das betrifft somit auch die Agilität der IT-Systeme. An dieser Stelle ist also die Frage entscheidend mit welcher Akzeptanz Mitarbeiter Tools nutzen. Damit sind nicht Keynote oder Words gemeint, sondern solche die eine strategische Relevanz u.a. für Geschäftsprozesse haben, und somit für das Business insgesamt.

    Darüber hinaus sind aber auch Fragen entscheidend die auf die Innovationsfreude der Mitarbeiter abzielen, und auf die Bereitschaft Veränderungen zuversichtlich mitzugehen. Auch hier zeigt sich, dass in digitalen Unternehmen Mitarbeiter in weitaus höherem Maße strategische Veränderung mittragen, bzw. diese akzeptieren als Mitarbeiter in traditionellen Unternehmen. Ein Einflussfaktor hierfür ist unter anderem, dass Mitarbeitern in digitalen Unternehmen stärker die Möglichkeit geboten wird Ideen auch mit strategischer Relevanz an das Management weiterzuleiten. An dieser Stelle zeigt sich sehr gut das systemische Zusammenspiel unter anderem aus Kultur, Strategie, Organisationsstruktur und Führung.

  • People: Die sechste Dimension People setzt sich mit den Fragen auseinander welche digitalen Fähigkeiten und Mind-Sets die Mitarbeiter haben, und ob und wie sie sich weiterbilden. Hat ein Redakteur in der heutigen Zeit beispielsweise überhaupt ein Eigeninteresse daran zu verstehen was der genaue Unterschied zwischen der Rezeption digitaler Inhalte und Print-Inhalte ist? Versteht er wie Rankings zustande kommen, was User-Metriken sind und welche Bedeutung sie für Google haben?
    Beispiele gibt es unendlich viele, hängen aber natürlich unter anderem stark von Industrie, Unternehmen, Abteilung oder Wettbewerbssituation ab. Grundsätzlich ist hier aber auch einmal mehr die Organisationskultur eine wichtige Einflussgröße, denn wenn beispielsweise die Fehlertoleranz gering ist, sinkt damit auch die Bereitschaft Veränderungen mitzugehen, bzw. sich auch weiterzuentwickeln. Veränderungen werden nämlich auch immer verstärkt als Instabilität und damit als Risiken wahrgenommen.

  • Governance: Die siebte Dimension ist die Governance und umfasst die Steuerung und Kontrolle der Digitalen Transformation. Wie können die Entwicklungen auf den einzelnen Ebenen gemessen werden? Gibt es bereits entsprechende Instrumente, Messmethoden und auch Prozesse? Wenn ja, werden die Ergebnisse und Erkenntnisse in dem Sinne auch richtig kommuniziert, dass auch klare Anforderungen bzw. Richtungsvorgaben verständlich rübergebracht werden? Das ist eine Dimension, die vor allem in mittelständischen Unternehmen stark vernachlässigt wird.

  • Technology: Die achte Dimension ist die Technology. Veraltete IT-Systeme können unter anderem durch Abhängigkeiten von Dienstleistern entstehen, von einzelnen Mitarbeitern, oder auch durch die Angst vor Veränderung und dem damit verbundenem Streben nach Macht- und Bedeutungserhalt. Veraltete Systeme können natürlich Innovations- und Transformationsprozesse verlangsamen und ineffizient machen. Die entscheidenden Fragen sind daher, ob veraltete Systeme entscheidende Prozesse verlangsamen, oder ob grundsätzlich relevante IT-Systeme fehlen die für Innovations- und Transformationsprozesse wichtig oder notwendig wären. Als Groborientierung sollte man die IT-Systeme vor allem in den Bereichen Cross-Channel Management, IT Sicherheit, Datenanalyse, Prozessautomatisierung überprüfen und bewerten. 

Die Reifegrade der Dimensionen

Jede einzelne Dimension kann hinsichtlich ihres digitalen Reifegrades in unterschiedlichem Ausmaß erfüllt sein, und somit jeweils in einen der fünf folgenden digitalen Reifegrade einordnet werden:

  • Liegt der Reifegrad bei null bis 20 Prozent, besteht auf der jeweiligen Ebene kein Bewusstsein dafür, dass die digitale Transformation für sie relevant ist und forciert werden sollte. Problematisch ist das vor allem dann, wenn auf den Ebenen der Strategie oder der Führung entweder aufgrund von Ängsten, Streben nach Machterhaltung oder auch aufgrund fehlender Kompetenz die digitale Transformation nur als ein IT Projekt gesehen wird.

  • Der zweite Reifegrad liegt zwischen 20 und 40 Prozent und ist dann gegeben, wenn ein Unternehmen zwar digitale Produkte in seinem Portfolio führt, aber dennoch keine ganzheitliche digitale Business Strategie vorhanden ist. Ebenso wie bei dem vorherigen Punkt wird auch in Unternehmen, die sich auf der Ebene dieses Reifegrads befinden, noch nicht erkannt, dass Business- und IT Strategie einander bedingen und somit zusammengeführt werden müssen.

  • Der dritte Reifegrad liegt zwischen 40 und 60 Prozent und ist dann gegeben, wenn ein Unternehmen beginnt erste Erkenntnisse aus Teil-Strategien, die bislang nur auf Produktebene stattgefunden haben, zusammengeführt werden. Hier beginnt Entwicklung einer digitalen Denkkultur innerhalb des Unternehmens.

  • Sobald eine klare digitale Strategie definiert ist, kann das Unternehmen dem vierten Reifegrad zugeordnet werden, der zwischen 60 bis 80 Prozent liegt.

  • Der fünfte Reifegrad ist dann der transformierte Zustand. Sozusagen der Soll-Zustand, auch wenn Veränderungsprozesse nie komplett abgeschlossen sein können, da sich natürlich unter anderem auch technologische, gesellschaftliche, politische und Unternehmensumfeld bezogene Veränderungen stetig vollziehen.

Beschränkungen des Digital Maturity Models

So anschaulich dieses Modell ist, eine Anleitung um die jeweiligen Reifegrade zu erhöhen ist es nicht. Es geht keine vorgefertigte allgemein gültige Methodik damit einher, die sich jedes Unternehmen wie ein passendes Werkzeug aus der Schublade holen kann. Dennoch unterstützt ein Digital Maturity Model dabei die digitale Transformation als ein komplexes und dynamisches System zu verstehen. Darauf basierend kann ein Unternehmen für sich selber einschätzen, und hierfür auch eigene Methoden und Ansätze entwickeln, wie beispielsweise maßgeschneiderte Fragebögen. Hierzu sollten aber externe Beratungen mit einbezogen werden!