“Wir müssen digitaler werden” – solche und ähnliche Sätze hört man reflexartig aus Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen, wenn es um die Frage nach der Weiterentwicklung des Business Modells geht. Das Problem dabei ist, dass in Unternehmen Unsicherheit darüber besteht, ob für eine Digitalisierung des Geschäftsmodells ausreichende Fähigkeiten und Ressourcen vorhanden sind.

Die Gründe für diese Unsicherheit sind vielfältig. Zum Beispiel kann ein Grund sein, dass Business und IT Strategie als auch noch getrennte und nicht ineinandergreifende Silos behandelt werden, oder aber dass die entsprechenden Unternehmen noch nicht den notwendigen Grad der Digitalisierung einsehen können, mit dem auch bestehende Organisationsstrukturen und Prozesse verändert würden. Kurz: Unternehmen müssen den Grad der strategischen Relevanz identifizieren, den die Digitalisierung für das Unternehmen auf all seinen Ebenen darstellen würde.

Aus diesem Grund beschreiben Bleicher und Stanley (2016) ein Framework, mit dessen Hilfe sich das strategische Potential der Digitalisierung für die Entwicklung eines Business Modells in drei Schritten identifizieren lässt. Der erste Schritt besteht in der Entwicklung des Verständnisses des eigenen bisherigen Geschäftsmodells, der zweite Schritt dient der Identifizierung relevanter digitaler Innovationstreiber und der dritte Schritt umfasst die strategische Initiierung.

Schritt 1: Das bestehende Business Modell verstehen

Zur Vergegenwärtigung und Verständnis Vertiefung des eigenen Business Modells, ist in diesem ersten Schritt das Business Model Canvas ein geeignetes Instrument. Das Business Model Canvas setzt sich aus folgenden neun Bereichen zusammen, die wesentliche Bestandteil eines Business Models sind, und denen jeweils die relevanten Schlüsselfaktoren zugeordnet werden können:

  • Stakeholder des Unternehmens: Wer sind die Schlüsselpartner des Unternehmens?
  • Schlüsselaktivitäten: Welche Schlüsselaktivitäten sind die wichtigsten?
  • Kostenstruktur: Was sind die höchsten Kosten und welche Schlüsselressourcen und Aktivitäten sind die kostenintensivsten?
  • Value Proposition: Welcher Core Value wird an die Kunden/ an die Zielgruppen geliefert, und welche ihrer Bedürfnisse werden befriedigt?
  • Customer Relationship: Welche Formen und Maßnahmen des Umgangs mit dem Kunden gibt es, um sie zu binden und um Beziehungen aufzubauen, zu erhalten oder zu stärken?
  • Kundensegmente: Welche Kundensegmente gibt es?
  • Schlüsselressourcen: Was sind die wichtigsten Ressourcen für das Unternehmen?
  • Vertriebskanäle: Welche Vertriebskanäle nutzt das Unternehmen, und welche funktionieren am besten?

Schritt 2: Identifizierung bestehender und potentieller digitaler Werttreiber

In diesem Schritt geht es darum die für ein Unternehmen sowohl bestehenden als auch potentiellen Werttreiber zu identifizieren, die mit der Digitalisierung einhergehen. Nur darauf zu warten, dass die richtigen Innovationsideen von allein in den Sinn kommen, ist sicherlich nicht zielführend, da in der Regel Ideen auch Ergebnis kreativer, analytischer, kognitiver und kommunikativer Prozesse sind. Parmar et al. (2014) beschreiben hierzu in einem Artikel im Harvard Business Review drei grundlegende Perspektiven bei der Suche von Ideen zur Business Innovation.

  • Die erste Perspektive bezieht sich auf die Kernfähigkeiten mit denen das Unternehmen bislang operiert. Die Frage die sich daraus ableitet ist, inwiefern das Unternehmen die Möglichkeit hat die bisherigen Kernkompetenzen zu nutzen und auszubauen, um das das Business Modell zu verändern?
  • Die zweite Perspektive ist eine kundenorientierte: Welche Kundenbedürfnisse werden bislang noch nicht befriedigt?
  • Die dritte Perspektive bezieht sich auf das Unternehmensumfeld: Gibt es beispielsweise bestimmte Trends, die, wenn das eigene Unternehmen diese Trends verfolgt, zu einer Veränderung des Business Models führen?

Diese drei sich aus den unterschiedlichen klassischen Ansätzen ergebenden Fragestellungen werden von den Autoren um einen weiteren Ansatz ergänzt, der sich auf die Identifizierung von Möglichkeiten fokussiert, die sich durch bereits vorhandene oder möglich zu gewinnende digitale Informationen und Tools ergeben. Hierfür haben Parmar et al. (2014) fünf Innovationsmuster entwickelt. Das erste Muster bezieht sich auf die Augmentation von Produkten, also die Nutzung von Daten, die durch physische Produkte generiert werden (z.B. Industry 4.0), um das Business Model weiterzuentwickeln. Das zweite Muster ist die Digitalisierung von Assets (z.B. e-Paper oder 3D-Druck). Hierdurch können in der Regel vor allem teure Distributionskosten gesenkt werden, aber auch Beratungsunternehmen die anderen Unternehmen helfen diese produktbezogene Transformation durchzuführen, werden in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen.

Das dritte Muster beinhaltet die Kombination, bzw. Integration von Daten, die innerhalb und außerhalb der jeweiligen Industrie generiert werden (zum Beispiel die Integration von Abrechnungsdaten, die von Arztpraxen an Krankenkassen, bzw. an kassenärztliche Vereinigungen übertragen werden.

Das vierte Muster besteht im Handel von Daten. Als Beispiel kann das Unternehmen TomTom genannt werden, das Navigationsgeräte herstellt und mit Hilfe mobiler Daten, die von Vodafone als Partner geliefert werden, den Kunden präzise Staumelden und Warnungen anzeigen. “Codifying a capability„, als fünftes Muster bedeutet, dass ein Unternehmen einen “best-in-class” Prozess beispielsweise über die Cloud an an andere Unternehmen weiterverkaufen kann.

Auf Basis dieser scheinbar simplen Muster können beispielsweise Berater gemeinsam mit ihren Kunden an der Optimierung des Business Modells arbeiten. Hierfür sollten zuerst folgende Fragen gestellt werden, bevor Detailfragen zu jedem der fünf zuvor beschriebenen Muster gestellt werden:

  • Welchen Daten generiert das Unternehmen bislang?
  • Auf welche Daten kann das Unternehmen zugreifen, die es selber nicht erfasst?
  • Welche Daten könnte das Unternehmen durch bereits bestehende Produkte und Prozesse generieren?
  • Welche hilfreichen Daten könnten das Unternehmen von Dritten bekommen?
  • Welche Daten nutzen oder generieren andere Unternehmen, die das eigene Unternehmen im Rahmen einer Zusammenarbeit oder Partnerschaft nutzen könnte?

Als nächstes werden für jedes der genannten Muster Detailfragen gestellt und geklärt:

Augmentation von Produkten

  • Welche Daten des Unternehmens beziehen sich auf die Produkte und deren Verwendung?
  • Welche Daten hält das Unternehmen, und welche Daten sollte das Unternehmen anfangen zu generieren und zu halten?
  • Welche Insights können aus den entsprechenden Daten generiert werden?
  • Inwiefern könnten diese Erkenntnisse neue Werte für das Unternehmen, die Kunden, die Lieferanten oder die Wettbewerber schaffen?

Digitalisierung von Assets

  • Welche der Assets des Unternehmens sind vollständig digital, oder teilweise digital?
  • Wie können wir die digitale Natur dieser Assets nutzen, um ihren Wert zu erhöhen, oder weiter zu digitalisieren?
  • Hat das Unternehmen noch digitale Assets, die digitalisiert werden können und sollten?

Kombination, bzw. Integration von Daten

  • Wie können die Daten, die das Unternehmen bereits hat, mit Daten Dritter kombiniert werden, damit daraus ein neuer Wert entsteht?
  • Könnten das Unternehmen als Katalysator für die Wertschöpfung fungieren, indem es Daten Dritter integriert?
  • Wer würde von einer solchen Datenintegration profitieren, und welches sinnvolle Geschäftsmodell würde sich daraus für das eigene Unternehmen und den oder die Partner ergeben?

Handel von Daten

  • Wie können die Daten des Unternehmens strukturiert und analysiert werden, damit sich daraus ein höherer Wert für das Unternehmen ergibt?
  • Sind diese Daten intern für das Unternehmen wertvoll, für die bestehenden Kunden, für potentielle Kunden oder für eine andere Industrie?

Codifying a capability

  • Besitzt das Unternehmen bereits eine besonders ausgeprägte Fähigkeit, die für andere Unternehmen ein Mehrwert darstellen könnte?
  • Gibt es eine Möglichkeit diese Fähigkeiten so zu standardisieren, dass sie für einen breiten Anwendungsbereich genutzt werden können?
  • Können diese Fähigkeiten als digitaler Wert angeboten werden?
  • Wer könnte diese (digitale oder digitalisierbare) Fähigkeit in der eigenen oder in einer anderen Branche interessant finden?
  • Wie könnte dem Unternehmen die Erfassung, Verwaltung und Analyse der Daten dabei helfen, eine Fähigkeit zu entwickeln, die es kodifizieren könnte?

Entscheidend ist, dass die Fragen gemeinsam mit den jeweils relevante Abteilungen oder Unternehmensbereichen bearbeitet, und die daraus gewonnenen Ideen priorisiert werden. Gegebenenfalls müssen Ideen nochmal gesondert und im Detail weiter ausgearbeitet werden.

Schritt 3: Strategische Ableitung

Die strategische Ableitung sollte optimaler Weise die Anwendung der sogenannten “Blue Ocean Strategie” beinhalten. Die Kernaussage der Blue Ocean Strategie besteht darin, dass sich Unternehmen nicht an Märkten mit hohem Wettbewerbsdruck orientieren sollten, den sogenannten “Red Oceans”, sondern vielmehr versuchen müssen eigene, bzw. neue Märkte zu kreieren (“Blue Oceans”). Auf diese Weise müssen keine Ressourcen für einen harten Wettbewerbskampf vergeudet werden. Damit gehen theoretisch zwei Vorteile einher: Zum einen wird die Kostenstruktur optimiert, und zum anderen differenziert sich durch diesen Ansatz ebenso auch eine Value Proposition. 

Ein wesentlicher Bestandteil der Philosophie hinter der Blue Ocean Strategie ist das sogenannte ERRC-Raster, ein Akronym, das für Eliminate, Reduce, Raise und Create steht.

ERRC-Raster

Fazit

Die drei Schritte ermöglichen somit nicht nur die Erarbeitung einer Strategie, sondern zugleich auch die Erarbeitung eines Implementierungskonzeptes. Das bedeutet also, dass durch diese Schritte Strategie und Organisation miteinander verbunden werden können. Das integrierte Framework, das aus den beschriebenen drei Schritten besteht um die strategische Relevanz der Digitalisierung für das eigene Unternehmen besser ausschöpfen zu können, lässt sich zusammenfassend wie folgt darstellen:

Business Modell Framework

Quellen

  • Bleicher, J, Stanley, H. (2016) Digitization As A Catalyst For Business Model Innovation A Three-Step Approach To Facilitating Economic Success. Journal Of Business Management, 12, pp. 62-71.
  • Parmar, R., Mackenzie, I., Cohn, D., Gann, D. (2014) The New Patterns of Innovation. Harvard Business Review, 92 (1-2), p. 86