Spannungen erzeugen

Unsicherheit ist die Differenz aus Wissen und fehlendem Wissen, und durch Lernen lässt sich die Unsicherheit zumindest reduzieren und die Entscheidungssicherheit aufgrund neuer Erkenntnisse verbessern. Fehlendes Wissen führt oft dazu, dass durch Routinen und damit eingefahrene Denkmuster ein Gefühl der Sicherheit und Stabilität entsteht. Dieses Gefühl der Sicherheit wiederum verschleiert das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Entwicklung und den Austausch neuen Wissens, was für das Durchbrechen der Routinen und Denkmuster absolut notwendig ist.
Eines der zentralsten Anliegen einer gesunden Unternehmenskultur ist das Erheben und das Teilen von Wissen und somit der Aufbau einer lernenden Organisation. Das wird allerdings häufig durch innere Widerstände (z.B. aufgrund einer fehlenden Fehlerkultur, fehlender Kommunikation oder Angst vor Machtverlust), Zentralisierung und fehlender technischer Infrastruktur erschwert.

Eine solche kognitive Entkopplung wird durch informelles Lernen gefördert und ist eine Voraussetzung für Veränderungen, wie zum Beispiel für eine digitale Transformation in der das Unternehmen von einem („routinierten“) makroskopischen Systemzustand in einen neuen makroskopischen Systemzustand gelangen kann. Querdenker in Unternehmen sollten daher nicht als Störenfriede wahrgenommen werden die nur die Wohlfühlzone der Gewohnheit und des Bestehenden stören. Verhindert man Unterschiede und Spannungen zu Gunsten eine innerorganisatorische Stromlinienförmigkeit, werden auch Kreativität und Innovationsfähigkeit verhindert.

Innovationsfähigkeit resultiert aus Spannungen

Kreativität und Innovationsfähigkeit kann nur durch Spannungen erzeugt werden, nicht durch Gleichmacherei. Das bedeutet, dass eine Organisation als System keinen assimilierenden Charakter haben sollte, sondern in der Lage sein muss mit internen Spannungsverhältnissen zu arbeiten, bzw. Spannungsverhältnisse zu fördern. Spannungsverhältnisse stellen sozusagen selbst eine instabile Phase dar, was der Organisation die Möglichkeit des Übergangs zu einem neuen Ordnungsmuster, zu einer neuen Stabilität bietet. Nichts, das was in einem stabilen Zustand ist lässt sich formen, wenn man seinen stabilen Zustand nicht auch ändert.

Es geht also nicht darum organisatorische Einheitlichkeit herzustellen, sondern eher das Gegenteil. Es geht also darum der Natur eines Systems, nämlich dem Streben nach Gleichgewicht und Stabilität, entgegenzuwirken. Gerade in Zeiten der Digitalisierung, in der die Umwelt einer Organisation durch extreme Komplexität gekennzeichnet ist, ist das Streben nach Stabilität sehr hoch.

Mit Netzwerken Spannungen fördern

Gemäß Ashby’s Law bedarf es aber überall dort, wo ein sehr dynamisches komplexes Problemsystem besteht, ein ebenso komplexes Lösungssystem (Ning & Tanriverdi, 2017).
Diese Komplexität, die ein Unternehmen der massiven Komplexität ihres Umfeldes entgegensetzen muss, lässt sich, gemäß Cunha und Rego (2010) durch das Bilden von Netzwerken ermöglichen. Das liegt daran, dass kommunikative Rückkoppelungseffekte mit Hilfe von Netzwerken nicht mehr nur linear und somit isoliert von anderen Meinungen, Information und Ideen sind, und somit bestehende stabile Muster (zum Beispiel gängige Annahmen) aufgelöst werden können. Auch hier zeigt sich also die Notwendigkeit der Abkehr des Denkens in voneinander isolierten Silos im Rahmen der Organisationsstruktur, und somit auch die Notwendigkeit, wie auch Islam et al. (2015) betonen, einer einheitlichen Betrachtung von Organisationsstruktur und Organisationskultur.

Innovation Hubs und Spannungen

Creator, Owner und Broker

Betrachtet man die Ebene der Mitarbeiter, wird die Notwendigkeit des Aufbaus von Netzwerken verdeutlicht: Gemäß Kruse (2004) kann man zwischen Creator, Owner und Broker unterscheiden. Ein Creator ist jemand, der ständig mit neuen Ideen die Organisation konfrontiert, und somit die derzeitige Stabilität stört. Der Owner wiederum ist der Wissenseigner, der ein Thema in der Tiefe beherrscht. Der Broker hingegen kennt die Leute, die etwas kennen oder wissen, und vernetzt diese miteinander. Jeder Typus hat somit unterschiedliche Fähigkeiten und Eigenschaften. Der Creator und der Owner zusammen ergeben Ideen zur Lösungsbildung.

Der Owner und der Broker ergeben zusammen die Bewertung von Wissen, und der Broker und der Creator zusammen führen zu Erregung, und stören das derzeitige Ordnungsmuster. Alle drei zusammen ergeben somit Erregung, Lösungsbildung und Bewertung. Das sind Fähigkeiten, die für Veränderungen elementar sind. Und um diese Vernetzung zu ermöglichen benötigt eine Organisation einen kulturellen Freiraum. Durch den Aufbau solcher Netzwerke sorgen die nicht-linearen Rückkoppelungseffekte dafür, dass die Schein-Stabilität des Systems durch das Hinterfragen aufgebrochen werden kann. Genau deshalb ist eine Unternehmenskultur wichtig, in der Mitarbeiter Freiräume und Anreize erhalten um solche Netzwerke aufzubauen und zu nutzen, und um somit nicht in der stabilen Ordnung ihrer Denkmuster gefangen zu bleiben.

Strukturen und formale Vorschriften

Unternehmenskultur, und die damit verbundenen Netzwerke, ist die Voraussetzung für das Teilen von Wissen, was wiederum für die Agilität und einen hohen Innovationsgrad wichtig ist. So wird das Teilen von Wissen besonders in solchen Organisationen gefördert, die eine organische Struktur aufweisen, die durch informelle Kontrollmechanismen, Anpassungsfähigkeit und offene Kommunikation charakterisiert ist. Und somit haben horizontal integrierte Organisationen einen höheren Innovationsgrad als vertikal integrierte Organisationen (Zheng et al., 2010; Szczepanska-Woszczyna, 2018).

Das liegt unter anderem daran, dass wenn eine Organisation weniger formal strukturiert ist, sich dadurch auch weniger formale Vorschriften und Regeln ableiten, die den Mitarbeitern kreativen Handlungsspielraum und die Möglichkeit der freien Kommunikation nehmen (Chen et al., 2010). So schlussfolgern auch Islam et al. (2015) in ihrer Studie, dass ein hoher Grad an Zentralisierung zu einem nicht-partizipativen Umfeld, und somit zu geringer Kommunikation und geringem Involvement und Commitment führt. Der Innovationsgrad einer Organisation, der eng mit der Agilität einer Organisation zusammenhängt, wird also durch den organisatorischen Kontext moderiert, und das sind Organisationsstruktur und Organisationskultur. Die zuvor beschriebene Notwendigkeit des Aufbaus von Netzwerken unterliegt also nicht nur intrapersonalen Voraussetzungen, sondern auch der Organisationsstruktur.

Quellen

  • Chen, C., Huang, J., Hsiao, Y. (2010) Knowledge management and innovativeness: the role of organizational climate and structure. International Journal Of Manpower, 31 (8), pp. 848-870.

  • Cunha, M., Rego, A. (2010) Complexity, simplicity, simplexity. European Management Journal, 28 (2), pp. 85-94.

  • Islam, M., Hasan, I., Jasimuddin, S. (2015) Organizational culture, structure, technology infrastructure and knowledge sharing: Empirical evidence from MNCs based in Malaysia. Vine, 45 (1), pp. 67-88.

  • Kruse, P. (2004) Erfolgreiches Management von Instabilität. 8th ed. Offenbach am Main: GABAL.

  • Zheng, W., Yang, B., McLean, G. (2010) Linking organizational culture, structure, strategy, and organizational effectiveness: Mediating role of knowledge
    management. Journal Of Business Research, 63, pp. 763-771.[/thrive_toggles][/thrive_toggles_group]